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Vortrag von Wolfgang Templin und Friedensgespräch am 22.09.2023

Erstellt von Karl-Heinz Kocar | | Aktuell

Lüdinghausen.

 

Das Datum des 9.11.1989 ist für heutige Jugendliche weit weg. Doch es lohnt sich, den überraschenden Fall der Berliner Mauer in seinem historischen Kontext zu bedenken: Die Überwindung der waffenstarrenden Ost-West-Konfrontation, das Wegbrechen des Eisernen Vorhangs veränderte die Welt von heute auf morgen fundamental. Ganz neue geopolitische Perspektiven taten sich plötzlich auf.

Am Vorabend des Friedensfestes, das die Arbeitsstelle Gerechtigkeit und Frieden sowie die Deutsch-Polnische Gesellschaft am letzten Samstag auf dem Ruth-Weiss-Platz vor der Polizeiwache organisiert hatten, analysierte der ehemalige DDR-Bürgerrechtler Wolfgang Templin in der Aula des St.-Antonius-Gymnasiums die Entwicklungen in Osteuropa vor und nach dem Fall der Berliner Mauer. – Zwischendurch spielte Andreas Lobisch, Lehrer an der Musikschule, einige musikalische Intermezzi auf dem Klavier.

In Jalta auf der Krim beschlossen die Staatschefs Roosevelt (USA), Churchill (Großbritannien) und Stalin (Sowjetunion) am 11.02.1945 eine neue Aufteilung ihrer Einflusssphären in Europa, die nach dem Ende des Krieges greifen sollte. Deutschland und Berlin wurden viergeteilt.

Templin führte aus: „Polen wurde, nachdem es vorher unter der rassistisch motivierten Vernichtungspolitik der Nazis gelitten und im Warschauer Aufstand vom August 1944 ein letztes Mal vergeblich dagegen angekämpft hatte, nun durch das Versagen der Westalliierten zusammen mit anderen mittelosteuropäischen Staaten zur wichtigsten Kriegsbeute Stalins. Damit büßte es seine nach dem Ersten Weltkrieg zeitweilig wiedergewonnene Souveränität - nach der vorausgegangenen NS-Okkupation  - abermals ein.“

Templin skizzierte sodann Höhen und Tiefen der verschiedenen  Widerstandsbewegungen in Osteuropa (DDR 1953, Ungarn 1956, CSSR 1968) und speziell in Polen bis Mitte der siebziger Jahre. Die Arbeiterbewegung KOR und später die Aktivität der Freien Gewerkschaftsbewegung „Solidarnosc“ – so der Referent - entfalteten auch ihren großen Einfluss auf die ersten Gruppen der späteren DDR-Opposition. Die Neue Ostpolitik der Regierung von Willy Brandt (ab 1970), die Wahl des polnischen Papstes 1978 und das Auftreten Gorbatschows hätten zusammen die politische Wende bewirkt, so der Referent.

Ein Fanal in der DDR – so der Zeitzeuge Templin - sei die Ausbürgerung von Wolf Biermann gewesen, im Anschluss an ein Konzert in Köln 1976. Aber vor allem der beharrliche Kampf der polnischen „Solidarnosc“ ab 1980 habe in der DDR und in ganz Osteuropa den Widerstandsgeist entscheidend befeuert. Und so kam es zu den politischen „Blues-Messen“ in der Berliner Samariterkirche und zu den Montagsgebeten und Montagsdemonstrationen in Leipzig und anderswo, die zur Überwindung der SED-Herrschaft beitrugen. Dabei seien die Widerstandsgruppen der DDR im Ziel zwar einig gewesen, in ihrer Struktur und Motivation aber auch recht unterschiedlich.

Sodann ging Templin auf die von Hoffnungen aber auch Illusionen geprägte Folgegeschichte der Ereignisse von 1989/90 ein. Er sprach von der sich eröffnenden Chance zur deutschen Wiedervereinigung und das beherzte Handeln von Kanzler Kohl, von der Implosion des Sowjetsystems, von den Staatsgründungen der Balten, der Georgier, der Ukrainer. Und schließlich: Der gegenwärtige Befreiungskampf der Ukraine sei auch ein Teil des Vermächtnisses der Solidarnosc. „Das ist auch unser Krieg!“, so die letzte Feststellung Templins.

In der Diskussion kam die Frage nach dem Widerstand gegen die Tendenz zu autokratischen Regimen, besonders in Ungarn und Polen. Aber auch die Frage, ob „die Mauer“ nicht weiterhin Realität sei, nämlich in den Köpfen von West- und Ostdeutschen.

Fotos: © DPG Lüdinghausen

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